Seit unsere Vorfahren damit begannen, Hütten oder Steinbehausungen zu errichten, versahen sie diese mit kleinen Öffnungen. Die Bewohner benötigten einerseits Licht, zum anderen musste der Rauch ihrer Feuerstellen abziehen. Zum Schutz vor Eindringlingen setzten sie die Durchbrüche meist in die schwer erreichbare obere Hälfte der Wand. „Windauge“ nannten die alten Germanen diese Luken. Das englische Wort „window“ erinnert noch daran. Unser Begriff „Fenster“ stammt wohl vom lateinischen „fenestra“, was so viel bedeutet wie „Wandöffnung“. Vom Loch in der Wand hin zum modernen Hightech Element beim Hausbau führt eine lange und spannende Zeitreise.
Von Tierhäuten, Pergament und Alabaster
Die Schlitze in den Wänden der frühen menschlichen Behausungen ließen zwar den Rauch der Feuer abziehen, doch Regen und Kälte konnten ungehindert eindringen. Zeitweise angebrachte Bretter schirmten zwar ab, verdunkelten jedoch die Räume. Schwierigkeiten bereitete es, den Wohnbereich vor der Witterung zu schützen, ohne Licht und Luft komplett auszusperren. Vor der Erfindung des Fensterglases versuchten unsere findigen Vorfahren, dieses Problem auf andere Weise zu lösen. Sie spannten Häute von Tieren, Pergament oder grobes Leinen vor die Öffnungen. Bei besonderen, meist sakralen Bauten milderte durchscheinender Alabaster vor den Luken die Witterungseinflüsse etwas. Bereits die Römer statteten manche ihrer Gebäude mit Glas aus. Dieses anfangs raue und undurchsichtige Material hatte mit dem heutigen Werkstoff wenig zu tun. Doch der erste Schritt zur „modernen“ Fensterscheibe war getan.
Die Fenstergestaltung spiegelte immer auch eine Kultur- und Architekturgeschichte der jeweiligen Epoche wider.
Rundbögen, Schießscharten und breite Mauernischen – das Fenster im Mittelalter
Ritterburgen und ihre mächtigen Mauern verbinden viele Menschen sofort mit der mittelalterlichen Architektur. In den Jahren von circa 500 bis 1.500 nach Christus blieben die Alltagsbauten, die Häuser der „kleinen Leute“, vielfach schlicht und zweckmäßig. Hier bestimmte oft Fachwerk mit durch einfache Schiebeläden geschützten Fensteröffnungen das Bild. Glas stellte damals unbezahlbaren Luxus dar und blieb meist Kirchen vorbehalten. Beeindruckende Kathedralen im romanischen oder gotischen Stil prägten diese Epoche mit ihren Rund- beziehungsweise Spitzbögen an den Fenstern. Ein typisches Detail im Burgenbau waren die tiefen Nischen vor den Wandöffnungen, häufig in den oberen Stockwerken. Im Fall eines Angriffes nutzten die Bewohner diesen Winkel zur Verteidigung. Bis in unsere moderne Zeit tauchen Fensternischen als beliebtes Gestaltungselement beim Hausbau auf. Nach dem Übergang von der Romanik zur Gotik finden sich vermehrt Spitzbogenfenster mit bunten Glasscheiben, Rosetten und filigranen geometrischen Mustern.
Die neue Pracht von Renaissance, Barock und Rokoko
Die Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert gilt als eine Art Brücke vom „finsteren“ Mittelalter zur Neuzeit. Diese Epoche stellte einen kulturhistorischen Neubeginn dar. Die Architektur gestaltete sich anspruchsvoller, die Fassaden wurden heller und farbenprächtig verziert. Der Stil findet sich auch in der Fenstergestaltung durch aufwendige Malerei, Ornamente und kleinflächige Verglasungen wieder.
Im 17. Jahrhundert lösten Barock und später Rokoko die spielerisch leichte Renaissance ab. Zunehmend bekamen Fenster jetzt eine rechteckige Form mit reich verzierten und geschmückten Rahmen. Die technische Entwicklung blieb ebenfalls nicht stehen. So halfen spezielle, von außen angebrachte Winter- oder Vorfenster schon damals bei der Wärmedämmung der Gebäude. Sogenannte „Wetterschenkel“, schräge Profilelemente im unteren Bereich des Fensters, dienten dem Regenschutz der Außenwände.
Klare Formen – Klassizismus und Historismus
Der Klassizismus, die Epoche etwa zwischen 1770 und 1840 nahm die Antike zum Vorbild. Kunst und Architektur kehrten vom prunkvollen Barock beziehungsweise Rokoko zu geradlinigen Formen mit klar begrenzten Flächen zurück. Dies wirkte sich auf die Fenstergestaltung aus. Verzierungen oder aufwendiger Schmuck blieben die Ausnahme. Ein großer technischer Schritt war das Doppelfenster mit zweifachem Rahmen.
Mit dem Historismus, der den Klassizismus ablöste, gewann die Industrialisierung dieser Zeit weiter an Gewicht. Die Hersteller brachten neue Materialien in diversen Formen und Symbolen auf den Markt. Stilrichtungen bei der Fassadengestaltung vermischten sich; alles schien erlaubt und möglich. Die Fensterscheiben und Rahmen wurden insgesamt größer. Weit verbreitet während dieser Periode zeigt sich das sogenannte „Galgenfenster“ mit zwei Flügeln und einteiligem Oberlicht.
Über den Jugendstil in die Moderne
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Kulturschaffende und Architekten experimentierten mit vielen Einflüssen. Das Fenster als einzelnes Element trat hinter die Gesamtgestaltung der Gebäudefassaden zurück. Der Jugendstil drückte sich jedoch in den bunten Glasscheiben an Türen oder Fenstern mit geschwungenen, teils floralen Formen aus.
Etwa ab 1910 trat mit dem Funktionalismus und dem sogenannten „Neuen Bauen“ eine rein zweckgebundene Architektur auf den Plan. Historiker betrachten unter anderem den berühmten Bauhausstil als Vertreter der Strömung. Die Form hatte sich nach der Funktion zu richten. Klar und sachlich blieb die Gestaltung der Gebäudefassaden in dieser Zeit. Typische Fenster der Epoche bestanden aus unterschiedlich großen Flügeln mit untergliedertem Rahmen.
In den dunklen Jahren des Nationalsozialismus unterstützte die Bauweise der Fenster vor allem den einschüchternden, monumentalen Eindruck, den die Bauten insgesamt vermitteln sollten.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete in jeder Hinsicht eine Zeitenwende.
Wirtschaftswunder und neue Technik – die Entwicklung in der Nachkriegszeit
Nach den verheerenden Schäden des Krieges ging es zunächst darum, Wohnraum zu schaffen. Es musste schnell gebaut werden. Vielfach setzten Architekten auf vorgearbeitete Teile und Module mit standardisierten Maßen. Sie wollten viele großflächige Fenster einsetzen, die Fertigungstechnik hinkte jedoch hinterher. Nach relativ kurzer Nutzungsdauer traten so bereits Schäden zutage. In diese Zeit fällt die Entwicklung des Isolierglases. Wende- und Schwingfenster mit schmalen Beschlägen waren typisch. Sie hatten den Vorteil, geöffnet nicht allzu weit in die Räume hinein zu ragen. Nach wie vor blieb Holz der am meisten verwendete Werkstoff; doch bald gesellten sich Stahl und Aluminium vor allem bei Zweck- sowie Industriebauten dazu.
Einen Meilenstein bedeutete im Jahr 1954 das erste serienmäßige Kunststofffenster auf dem Markt.
Modernes Design und der Anspruch auf Nachhaltigkeit
In der heutigen Zeit treten Gesichtspunkte wie ressourcenschonendes Bauen und nachhaltige Architektur in den Vordergrund. Bereits seit den 1980er Jahren dominieren Fenster aus Doppel- oder sogar Dreifach-Isolierglas. Deren hervorragende Wärmedämmung erlaubt den Bau von Niedrigenergie beziehungsweise Passivhäusern. Innovative Technik und neue Werkstoffe eröffnen ungeahnte Möglichkeiten in der Fenstergestaltung, sowohl beim Design als auch bei der Verarbeitung. Kunststofffenster verfügen seit Langem über große Marktanteile. Viele Anbieter setzen zudem auf Lösungen im Materialmix. Holzfenster punkten aufgrund ihres natürlichen Rohstoffs mit Nachhaltigkeit, benötigen jedoch laufende Pflege. Sie erhalten beispielsweise Verblendungen aus Aluminium, was ihre Lebensdauer verlängert und die Witterungsbeständigkeit erhöht. Neue Fertigungsmethoden erlauben es, Glasscheiben nicht nur als ebene Fläche, sondern gewölbt herzustellen. An modernen Gebäuden fallen sogenannte „Elementfassaden“ oder „Fensterbänder“ auf. Hier reiht sich jeweils ein Fenster an das nächste. Heutige Modelle zeigen sich als „Multitalente“ was Diebstahlsicherung, Feuerschutz und Schalldämmung anbelangt. So leisten sie einen entscheidenden Beitrag zum Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl von Hausbesitzern sowie den Bewohnern.
Ein interessanter Weg durch die Geschichte liegt hinter den Fenstern, wie wir sie heute kennen. Ihre technische und gestalterische Entwicklung ist lange nicht abgeschlossen. So dürfen Architekten und künftige Bauherren gespannt sein, was die Zukunft für die „Augen des Hauses“ bereithält.